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„Sie haben es so sehr verdient“

Sonntagnacht, 4.40 Uhr. Familie und Freunde von Sören Henkel sitzen im Wohnzimmer vor einer großen Leinwand, auf der die Liveübertragung gezeigt wird. Sie fiebern mit, drücken „ihrem Jungen“ die Daumen. Der 18-Jährige wird gleich bei der U19-Junioren-WM das Rennen seines Lebens rudern. Und das auch noch auf einer exklusiven Strecke: Denn dort geht es 2020 um olympische Ehren.

Papa Jo sitzt eine halbe Stunde zuvor auf dem Sofa und beobachtet die Rennen der anderen deutschen Boote. Vereinskolleginnen von Sören wie Neele, Lara und Elena Erdtmann sowie Hannah Veuhoff und deren Eltern sind auch gekommen. Natürlich auch Sörens Heimtrainer Andreas Erdtmann und Gattin Tanja. „Leidensgenossen“ sind in dieser Nacht auch Frank und Birgit Krüger aus Magdeburg. Ihr Sohn Paul sitzt im Doppelzweier, und sie sind zu Besuch in Waltrop. Sichtlich genießen sie das gemeinsame „Rudelgucken“.

Noch wirken alle etwas müde. Mutter Anne bereitet in der Küche schon mal das Rührei vor. Sektgläser stehen auf dem Tresen. Ob sie noch zum ein Einsatz kommen? Den Sektkühler hat sie noch etwas in der Ecke versteckt. „Ich kann jetzt nicht ruhig sitzen bleiben“, erklärt die Mama ihren Aktionismus.

Und sie erlaubt einen Einblick in ihr Seelenleben. „Ich würde es ihm so gönnen, ganz oben zu stehen. Bei der DM hat er letztes Jahr und diesmal viermal Silber gewonnen. Im Achter wurde er letztes Jahr WM-Dritter. Jetzt Gold, wäre toll. Aber erst einmal abwarten.“

4.39 Uhr: Die Müdigkeit ist verschwunden

Jetzt geht es los: Alle sitzen kerzengerade. Dann wird das Starterfeld mit dem deutschen Vierer am Start eingeblendet. „Da, das gelbe Boot. Das sind sie“, ruft einer. Wohl wegen der Aufregung. Denn letztlich wissen das alle. Und dann geht es los, mit Sören auf der verantwortungsvollen Schlagposition. Hinter ihm sitzen Elrond Kullmann, Alexander Finger und Paul Berghoff. Sie wissen, dass sie stark sind. Den Vorlauf und das Halbfinale haben sie gewonnen.

Aber hat die Konkurrenz vielleicht gepokert? Die Russen auf jeden Fall, da sind sich die Ruderfachleute im Henkelschen Wohnzimmer sicher. Vater Jo hat mitgezählt: „Die fahren eine 42“, sagt der selbst erfahrene Ruderer. Andreas Erdtmann nickt zur Bestätigung der Schlagzahl.

Dreiviertel der Strecke liegen aber die Italiener vor den Deutschen. Fast mit einem Vorsprung von drei Sekunden. Und die Russen sind in Lauerstellung. „Lasst die nicht wegfahren“, fordert ein Waltroper Daumendrücker. Andreas Erdtmann bleibt völlig entspannt. „Wartet ab, die kommen hintenraus.“ Den japanischen Kommentar blenden sie alle aus. Sie brauchen keine Übersetzung für die Ereignisse. Die Bilder sprechen für sich. Und Erdtmann behält recht. Bei der 1500-Meter-Marke sind Sören und Co. zwar noch Zweite. Doch dann gelingt es ihnen, den Druck aufrechtzuhalten. Mit einem Vorsprung von eineinhalb Sekunden kommen sie als Erste ins Ziel.

Grenzenloser Jubel in Waltrop. Und als Sören dann im Boot aufsteht und in Siegerpose einen Skull in die Luft reckt, kullern bei Mama Anne die Freudentränen. „Das ist so schön. Sie haben das so sehr verdient“, sagt sie.

5.08 Uhr: Viel Stolz bei der Nationalhymne

Siegerehrung: Die einen singen bei der Nationalhymne dann mit, andere summen mit einem Lächeln auf den Lippen mit. Und sie versuchen zu verstehen, dass ihr Vereinskamerad gerade das Rennen seines Lebens gefahren ist. Von etlichen Trainingskilometern auf dem Datteln-Hamm-Kanal auf die Olympiastrecke von Tokio.

Dann heißt es noch Daumendrücken für Paul Krüger. Er wird am Ende Zweiter. Sein Papa deutet die Mimik seines Sohnes bei der Siegerehrung. „Er ist enttäuscht“, sagt er. Doch dann huscht doch ein Lächeln des Filius’ über dessen Gesicht. Das gibt den Eltern ein gutes Gefühl.

Dann ist die Zeit für den Siegersekt gekommen. Anne Henkel holt jetzt die Gläser hervor. Die stolze Mama prostet in die Runde: „Auf Sören!“

Der Weltmeister wird am Dienstagabend in Waltrop zurückerwartet. Am Mittwoch lädt die Familie dann Sörens Ruderkollegen, Freunde und Wegbegleiter zu einem Empfang ein.

 

Und das sagt der Goldmedaillengewinner …

„Das Gefühl, bei der Siegerehrung einer Weltmeisterschaft in der Mitte zu stehen und die Nationalhymne zu singen ist ein Gefühl, das ich gar nicht richtig in Worte fassen kann“, teilte Sören Henkel per Whats-App-Sprachnachricht unserer Redaktion mit.

„Wir waren durch die Siege im Vorlauf und Halbfinale optimistisch, dass wir vorne mitfahren könnten. Nach sechs Jahren wollten wir endlich wieder Gold für einen deutschen Doppelvierer gewinnen.“ Der Schlagmann und seine Teamkollegen seien am Start gut weggekommen, „doch dann sind uns die Italiener und Russen leider weggerutscht.“ Das deutsche Boot habe sich am Ende aufgrund der Stärke und der Erfahrung durchsetzen können. „Alex und Paul saßen schließlich letztes Jahr schon bei der WM im Doppelvierer und ich im Achter“, erinnert der 18-
Jährige. Sie hätten diese Attribute gut kombinieren und den Sieg ins Ziel fahren können.

„Es ist ein Riesending. Nach vier Jahren ganz oben zu stehen, ist so eine super Sache. Wir haben viel gearbeitet, viel investiert, viel zurückgesteckt und haben auf Vieles verzichtet. Daher ist dieser Erfolg so besonders. Ich bin unglaublich stolz auf die Mannschaft und auf mich.“